Zur Geschichte der Gruppe Georg Elser

23. August 2013

Die Gruppe Georg Elser ist Geschichte. Sie muss sich auflösen, weil ihr Name töricht ist.
Wer nur einen flüchtigen Blick auf eine Münchner Elser-Gedenkinitiative geworfen hat, die wähnt, dass „Elser lebt!“ und ausgerechnet als Wutbürger gegen Stuttgarter Eisenbahnprojekte reüssiert, dem schwant, dass auch die Absicht, den fähigsten Hitlergegner als Verkörperung der Kritischen Theorie auszuweisen, nur eine besonders bescheidwisserische Variante einer längst offenkundigen Tendenz der deutschen Geschichtspolitik ist: die Sinnstiftung der Tragödie Elsers als kulturelles Erbe des postnazistischen Deutschlands. Das imponierende Attentat auf Hitler und Konsorten ist nicht abzulösen vom gewaltsamen Tod, den Elser infolgedessen erlitten hat. Jede Elser-Gruppe, die sich mit politischem Interesse dem Zeitgenössischen widmet, hat an dem Versuch Anteil, aus dem Ermordeten und seiner Geschichte moralisches Kapital zu schlagen und Elser als Märtyrer aufzurichten. Den Namen Georg Elsers zu würdigen, würde dagegen bedeuten, ihn von jeder politischen Verwertung frei zu machen.
Zur Dokumentation der Arbeit der letzten sechs Jahre bleibt das Weblog der Gruppe bestehen.


Benefizgala für Carl Wiemer

22. Februar 2013

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Der freie Autor und Literaturkritiker Carl Wiemer soll vom Walser-Clan nach allen Regeln polizelich-juristischer Kunst mundtot gemacht werden. Wiemers Vergehen: er verteilt kritische Flugblätter vor den Literaturhäusern, in denen “der literaturpolitische Familienbetrieb” der in Deutschland weltberühmten Walsers den Ruf genießt, Literatur zu erzeugen, wo er doch vielmehr ihre Liquidation beglaubigt.

Für seinen unermüdlichen Einsatz, am Rande der Lesungen von Martin und Alissa Walser auf deren postnationalsozialistisches Geschäftsmodell und auf künstlerische Unfähigkeit hinzuweisen, wurde Wiemer mehrfach mit juristischen und polizeilichen Repressionen behelligt und im vergangenen November sogar tätlich angegriffen.
Seit dem Sommer 2012 setzt Walser erneut zur – nicht nur finanziell strapaziösen – gerichtlichen Durchsetzung seiner Lebenslügen an. So will er es Wiemer u.a. sogar gerichtlich verbieten lassen, ihn in dessen Flugblättern als das Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer: 9742136) zu bezeichnen, das er nachweislich gewesen ist und in deren Tradition sich seine Ausfälle gegen Juden bis heute bewegen.
Um den geschichtsrevisionistischen Triumph des Walser-Clans zu verhindern und Carl Wiemer in seiner kritischen Arbeit zu unterstützen, laden wir zu einer Benefizgala zur Finanzierung der Prozesskosten ein.

Die Gala findet am Samstag, den 30. März 2013 im Selbstverwalteten Jugendzentrum Siegburg (Haufeld 22) statt.

21:00 Uhr: Kurzer Vortrag Carl Wiemers zu den gegen ihn gerichteten Repressionen von Polizei und Justiz.
Anschließend: elektronische Tanzmusik via DML (Techno), Nachthimmel (Techno/Minimal), Kill the Myths (Cybernetics/Bass) und weiteren Überraschungs-DJs.

Eintritt: 5€

Veranstalter: Gruppe Georg Elser; mit freundlicher Unterstützung der Jungen Antifa Siegburg.


Georg Elser – Zur Karriere eines Ermordeten

25. Dezember 2012
Posthume Repatriierung: Gedenkanzeige für Johann Georg Elser in der Frankfurter Rundschau vom 6.11.2004

Posthume Repatriierung: Gedenkanzeige für Johann Georg Elser in der Frankfurter Rundschau vom 6.11.2004

Vortrag und Diskussion mit Matheus Hagedorny

Georg Elser ging auf ganz eigene Rechnung daran, den nationalsozialistischen Terror an seinem mythischen Ursprungsort zu terrorisieren. Präzise wie nur Wenige wollte Elser begreifen, dass das Regime enthauptet werden musste und dies dennoch kaum etwas gegen die Tendenz einer sich barbarisch auflösenden deutschen Gesellschaft ausgerichtet hätte.
Gleichwohl lässt sich die Geschichte von Georg Elser nicht als »deutsches Drama« erzählen, wie es der Untertitel des Elser-Stücks von Peter Paul Zahl nahe legt. Stattdessen ist der einsame Widerstand des Handwerkers weitgehend dialogfrei und von dessen letzten Jahren kaum mehr als seine Verzweiflung sowie der verleumderische Lagerklatsch aus den KZs überliefert, der auch lange nach seiner Ermordung in Dachau Widerhall fand.

Nachdem der Verschwörungswahn um Elsers vermeintliche Hintermänner seit den 1970ern abzuklingen begann, setzte seine zaghafte Integration in den postnazistischen Erinnerungsbetrieb ein. Ob er nun in Klaus Maria Brandauers Elser-Verfilmung »existenziell verkitscht« (Redaktion Bahamas) oder zum deutschen Patrioten umgelogen wird, ob er als »Held ohne Degen« oder als Mainstream gewordener Geheimtipp der deutschen Vergangenheitsbewältigung reüssiert – dem deutschen Zwang zur Sinnstiftung und Eingemeindung der Opfer entgeht auch Georg Elser nicht.
Der Vortrag macht es sich zur Aufgabe, zu beleuchten, was die Rezeption des »Bürgerbräu-Attentats« über das Werden des postnazistischen Bewusstseins aussagt, welche Rolle die Kulturindustrie dabei einnimmt und warum Georg Elser heute kein Vorbild sein kann.

Donnerstag, 17. Januar 2013
20:00 Uhr
Druckluft (Am Förderturm 27, Oberhausen)
Eintritt frei

Veranstalter: Antifa D-Day Duisburg.


Zur Verteidigung Israels

19. November 2012

Das Duisburger Bündnis gegen Antisemitismus rief zu einer Kundgebung „Für Israels Recht auf Selbstverteidigung“ auf – und sagt sie  aus gegebenem Anlass – „der aktuellen Unterbrechung des Krieges gegen Israel“ – wieder ab.

Die Gruppe Georg Elser wünscht dem Bündnis viel Erfolg bei seinem kommenden Versuch, durch Justus Wertmüllers Vortrag „Der Extremismus der Israelsolidarität“ den antizionistischen Konsens in Duisburg zu stören, „einer Stadt, in der seit Jahren leitende Beamte, führende Politiker, Polizei und islamische Vereine ein antiisraelisches Klima geschaffen haben“ (BgA Duisburg).


Beim Barte des Propheten

6. Mai 2012

Casus Belli: Eine Karikatur des „Propheten“ Mohammed von Kurt Westergaard*

Zu den islamistischen Ausschreitungen in Bonn

Nun ist es passiert. Der Terror, den die radikal islamischen Salafiten bislang nur innerhalb der muslimischen Communities verbreitet haben, hat sich gestern Nachmittag für alle sichtbar auf den Straßen von Bonn gewaltsam entladen. Anlass dafür bildete der Versuch von 29 Aktivisten der ausländerfeindlichen Partei Pro NRW, einige Karikaturen des „Propheten“ Mohammed vor der König-Fahd-Akademie in Bonn zu präsentieren.

Wie schon am 1. Mai in Solingen, einer vorherigen Station der provokativen NRW-Landtagswahlkampagne von Pro NRW, explodierte der dieses Mal etwa vierhundertköpfige islamistische Mob exakt in dem Moment, in dem er den verhohnepiepelten „Propheten“ erblickte. Und wie schon in Solingen konnte die Polizei nur mit dem massiven Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken den Lynchmord an den Rechtspopulisten verhindern. Noch Stunden nach der Kundgebung wüteten Salafiten in anderen Teilen der Stadt [1].

Die vorläufige Bilanz in Bonn: 109 festgenommene Islamisten, 29 verletzte Polizisten, davon mindestens zwei durch Messerstiche. Eine Mordkommission ermittelt.

Auch Moussa Acharki, Vorstand des Rats der Muslime Bonn sowie Bundesvorstand der islamistischen Partei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), ist von diesen Szenen mitgenommen. Seit Jahren insistiert der 36jährige Bonner, dass Islam doch Frieden sei, wohl auch, weil er weiß, dass eine beachtliche Minderheit unter den Bonner Moscheegängern dies anders meint. Denn Bonn ist seit Jahren das Zentrum des militanten Islam in Deutschland [2]. Aktuell befinden sich mehrere Bonner im Djihad gegen die Ungläubigen, darunter die wohl prominentesten Bonner Muslime Yassin und Mounir Chouka.

Solidarische Hilfe: Der salafitische Hassprediger Abu Maleeq, früher bekannt als Rapper „Deso Dogg“, ruft mit dem Megaphon des Linksjugend-Mitglieds Matthias Schug zu Gewalt auf.

Immer wieder kehren einige Islamisten aus terroristischen Ausbildungslagern zurück und tragen den Gedanken der kriegerischen Durchsetzung des Islam in die Bonner Moscheegemeinden [3]. Einer der ideologischen und organisatorischen Stützpunkte des radikalen Islam ist die 1995 gegründete König-Fahd-Akademie im Bonner Süden, ein Schauplatz der gestrigen Ausschreitungen. In diesem ausgewiesenen Islamistenkiez mit street credibility erreichte die Nachricht der üblen Partei Pro NRW, eine gar nicht so üble Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard zeigen zu wollen, den größtmöglichen Effekt.

Moussa Acharki: Der ehrliche Makler

Man kann Acharki nicht nachsagen, dass er es nicht gut meinen würde. Er ist Verantwortlicher einer Demonstration gegen waschechte Rassisten und Ausländerfeinde, doch bestand die Mehrheit der Teilnehmer aus ebenso waschechten Islamisten und potenziellen Totschlägern. Direkt neben ihm wurden vom Podium aus unverhohlen Todesdrohungen gegen deutsche Staatsangehörige in islamisch geprägten Ländern ausgesprochen. Direkt vor seinen Augen wehten Fahnen des „Islamischen Staat Irak“, einer Filiale der Al-Quaida, ohne dass der um den Frieden bemühte BIG-Politiker und Islamfunktionär eingeschritten wäre [4].

Moussa Acharki ist nicht nur Vorstand des Rats der Muslime, sondern auch aufstrebender Landtagskandidat der BIG-Partei, einem deutschen Ableger der AKP, der islamistischen Regierungspartei des türkischen Premierministers Erdogan [5].

Acharki schämt sich für seine salafitischen Glaubensbrüder, er mag die Gewalt sicher nicht, gleichwohl ist der Gewaltausbruch der Salafiten seine große Stunde. Die Strategie der BIG wie des Rats der Muslime, die sich nicht nur in seiner Person organisatorisch überschneiden, besteht nämlich darin, sich in allen Konflikten zwischen den Muslimen und den anderen Deutschen als kultursensibles Anti-Konfliktteam zu inszenieren.

Gegenüber dem WDR-Fernsehen resümiert Acharki: „Eigentlich haben wir einen Aufruf gemacht, gar nicht dagegen zu demonstrieren und gar nicht hier hin zu kommen, weil wir die Lage genau so eingeschätzt haben. Aber leider ist es so, dass überall auf Facebook Werbung gemacht worden ist. Und überall Werbung, auf dass viele hier hin kommen, auch von außerhalb. Und wir wissen, wie unsere Jugendlichen reagieren, emotional leider“ (Hervorhebung GGE) [6].

Er suggeriert, die Salafiten davon abhalten zu können, ihr vorher mit seiner Billigung auf der Kundgebung gefälltes Todesurteil über die Spötter des „Propheten“ und Feinde des Islam zu vollstrecken. Weil aber die Salafiten bekanntermaßen keine rheinischen Jungpolitiker, sondern nur Allah fürchten, war es skrupellos von Acharki, die von ihm initiierte Gegendemonstration nicht abzusagen und der im Internet dutzendfach angekündigten Lynchjustiz mit der Kundgebung des Rats der Muslime eine legale Basis zu geben.

So hat Acharki die Gelegenheit genutzt, die Gewalt „seiner Jugendlichen“ kurz vor den Landtagswahlen zu instrumentalisieren, um sich als verständnisvoller Sprecher der Muslime in Stellung zu bringen. Der Rat der Muslime bzw. die BIG-Partei wird wie so oft darauf verweisen, dass solche Ausschreitungen „ihrer Jugendlichen“, wenn überhaupt, dann nur durch sie verhindert werden könnten.

Wahlkampf im Wortsinn

Was am 5. Mai in Bonn auch ausgetragen wurde, war ein sprichwörtlicher Wahlkampf zwischen der rechtsradikalen „Bürgerbewegung“ Pro NRW und der islamistischen BIG-Partei und ist womöglich eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Funktionären und den vermeintlichen oder tatsächlichen Ungläubigen.

Pro NRW, bestehend aus (Ex-)Nazis und Lumpenbourgeoisie, ist dabei nur die andere Seite derselben kulturalistischen Medaille. Will die islamistische BIG-Partei dem kleinen muslimischen Mann zu einer Stimme verhelfen, inszeniert sich Pro NRW als bieder-bürgerliche Schutzmacht des christlichen Abendlandes. Während der Rat der Muslime bzw. die BIG-Partei gelegentlich einen wütenden Mob gegen dessen frommen Wunsch politisch instrumentalisiert, kann sich Pro NRW nur noch auf die Polizei verlassen, die sich pflichtschuldig anstelle der Rechtspopulisten verprügeln lässt.

Fakt ist: Die fremdenfeindliche Partei Pro NRW hat die Islamisten nicht damit provoziert, dass sie wie andere Landtagsparteien einer repressiven Ausländerpolitik anhängt, sondern einzig und allein durch die islamkritischen Karikaturen des Kurt Westergaard. Der salafitische Mob hätte genauso zugeschlagen, wenn die Karikaturen von Linken gezeigt worden wären, welche aber zur Islamkritik unfähig sind und trotzdem – wie am 1. Mai in Solingen – von Salafiten mit Holzlatten krankenhausreif geprügelt werden, wenn sie nicht wie die Linksjugend von Bonn sogar gemeinsam mit den Salafiten Flagge zeigen [7].

Würde das Ansinnen des nordrhein-westfälischen Innenministers Jäger (SPD) umgesetzt, den Rechten das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zu verbieten, um sich Ruhe vor dem radikal islamischen Mob zu erkaufen, wäre das ein Pyrrhussieg für den „öffentlichen Frieden“. Tatsächlich hätten die Salafiten damit einen Etappensieg herbeigeprügelt, auf dem sie propagandistisch aufbauen könnten. Solch ein Erfolg könnte Muslime, die die Mohammed-Karikaturen für unerträglich halten, sie bislang aber nicht gewaltsam aus der Welt schaffen wollen, zu der Überzeugung bringen, dass Gewalt doch eine probate Lösung und der Salafismus der verlässlichste Verteidiger des Islams ist.

Auch wenn der von Pro NRW verbreitete Hass auf muslimische Migranten entschieden bekämpft werden muss, darf im Zuge dessen das befreiende Gelächter über das Allerheiligste“ (Redaktion Bahamas) [8] keinesfalls verboten werden.

Gruppe Georg Elser (Bonn), 6. Mai 2012

Anmerkungen, Quellen- und Literaturnachweise

* Die Karikatur Westergaards hat, wenn sie auch auf den ersten Blick platt erscheint, ästhetische Qualität. Denn in ihr bildet er in Wahrheit gar nicht Mohammed, den es historisch womöglich nie gegeben hat, sondern nur seine wahnsinnigen Nacheiferer ab, die ihren „Propheten“ wegen des Bilderverbots ja gar nicht wiedererkennen dürften und trotzdem explodieren, wenn sie ihn zu sehen meinen.

[1] http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/bonn/bad-godesberg/Blindwuetige-Gewalt-nach-Provokation-durch-Pro-NRW-article756093.html

[2] http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/bonn/Die-Spuren-Al-Kaidas-fuehren-nach-Bonn-article254384.html

[3] vgl. Rolf Clement/Paul Elmar Jöris: Islamistische Terroristen aus Deutschland, Bonn 2011

[4] http://www.youtube.com/watch?v=YSyyfj4LTnc

[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,786207,00.html

[6] http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2012/05/05/aktuelle-stunde-demonstration.xml

[7] https://linksunten.indymedia.org/de/node/59620;

In Bonn engagierte sich die Bonner Linksjugend am 5. Mai sogar gemeinsam mit den Islamisten bei der „Verteidigung des Propheten“: https://gruppegeorgelser.files.wordpress.com/2012/05/solid-bonn-2.jpg

Höhepunkt der linken Solidarität: Nachdem Abu Maleeq kurz zuvor mit seinen „Brüdern“ den antisemitischen Schlachtgesang „Khaybar Khaybar ya Yahūd, jaysh Muḥammad saya‘ūd“ („Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder!“) intoniert hatte, überließ das Linksjugend-Mitglied Matthias Schug  dem salafitischen Hassprediger sein Megaphon (siehe Foto 2). Durch Schugs Lautsprecher forderte Abu Maleeq dann für alle hörbar  zu den nachfolgenden Ausschreitungen auf:  „Solange keine Karikaturen gezeigt werden, bleiben wir ruhig. Aber wenn die Karikaturen gezeigt werden, wißt ihr alle was ihr zu tun habt…“.

[8] http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web49-1.pdf


Der Wutbürger – Symposium zur Kritik des (anti)autoritären Charakters

15. April 2012

Der Wutbürger ist Legion. Nicht erst seit dem Jahr 2010, als derJournalist Dirk Kurbjuweit ihm seinen Namen gab, bringt er das prekäre Lebensgefühl der Postmoderne auf den Punkt.
Ob er sich nun als empörter Bahnhofsschützer in Stuttgart, Vuvuzela-Bläser am Schloss Bellevue oder Bestandteil der 99% aufstellt, ist einerlei: an der wutbürgerlichen Empörung, die doch nur seine reale Ohnmacht illustriert, kommt die Politik nicht vorbei.
In der Bundesrepublik nimmt sein schrankenlos demokratischer Geist meist die Form eines militanten Steuerzahlers an. Nicht nur bei den Debatten um den „Ehrensold“ von Altbundespräsident Wulff und ein längst beschlossenes Infrastrukturprojekt im Schwäbischen setzt er das geltende Recht gegen seine vom spontanen Aufbegehren abhängige Meinung.

Das Symposium versucht, dem (internationalen) Protest-Phänomen des Wutbürgers auf die Spur zu kommen. In drei Vorträgen wird dargelegt, welche vermeintlich antiautoritären Vorstellungen von Staat und Ökonomie seinen Rebellionen zugrunde liegen. Die entscheidende Frage wird sein: Kann, wer denkt, wütend sein?

Es sprechen:
Martin Focke (Aktionsbündnis gegen Wutbürger, Bremen)
Niklaas Machunsky (Redaktion Prodomo, Köln)
Uli Krug (Redaktion Bahamas, Berlin)

Am Samstag, den 5. Mai 2012
ab 15 Uhr
im Hörsaal 17 (Englisches Seminar, Hauptgebäude der Universität Bonn).

Der Eintritt ist kostenfrei.


Der Sozialismus und die Seele des Menschen

12. Dezember 2011

Zum ästhetischen Kommunismus des Oscar Wilde

Workshop der Gruppe Georg Elser

Der Schriftsteller Oscar Wilde gilt heute in erster Linie als Inbegriff des kunstsinnigen Dandy, dem das Publikum Romane wie „Das Bildnis des Dorian Gray“ und berühmte Theaterstücke wie „Bunbury“ zu verdanken hat.
Völlig zu Unrecht vergessen ist jedoch sein radikaler Essay „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“, in dem er utopische Bestimmungen für eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft formuliert, deren zentrale Aufgabe es sein soll, „uns von der schmutzigen Notwendigkeit zu befreien, für andere zu leben, die momentan so schwer auf fast allen lastet.“

Oscar Wildes Versuch eines ästhetischen Kommunismus ist kein literarisches Gedankenspiel, sondern revolutionärer Entwurf. Pointiert wird in ihm die Würdelosigkeit des Eigentums, die Arroganz des Mitleids und der Zynismus der Sozialreform kritisiert. Anliegen dieser Sozialismuskonzeption ist, die aus der ökonomischen Notwendigkeit geborene, fatale Abhängigkeit der Menschen voneinander zu überwinden. Sie zielt auf einen Individualismus, dessen Möglichkeit er im prekären Leben des Künstlers aufscheinen sieht. Wilde gelingt es wie nur Wenigen, den Kommunismus gegen die kollektivistischen Tendenzen der Arbeiterbewegung zu bestimmen: als einen um die Vervollkommnung des Einzelnen gebildeten „Verein freier Menschen“ (Karl Marx).

Der Workshop möchte aufzeigen, inwiefern diese erstmals 1891 veröffentlichte Schrift es verdient, auch heute in gesellschaftskritischer Absicht gelesen zu werden. Im Mittelpunkt steht die Reflexion darüber, ob und wie „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ dazu beiträgt, die aktuelle kapitalistische Vergesellschaftung zu kritisieren und wo ihre Grenzen und Unwägbarkeiten liegen.
Die Teilnahme am Workshop erfordert keine vorherige Anmeldung und ist kostenlos. Die Veranstaltung richtet sich an alle Menschen, die an der Kritik des Sozialismus bzw. Kommunismus interessiert sind.

Sehr sinnvoll, wenn auch nicht zwingend erforderlich für die Teilnahme ist es, „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ bereits im Vorfeld der Veranstaltung zu lesen.
Der Essay ist zur Zeit in zwei Ausgaben (von Gustav Landauer und Hedwig Lachmann 1904 ins Deutsche übersetzt: Diogenes Verlag 9,90€, Books on Demand 5,40€) erhältlich.
Er ist zudem auch online verfügbar (weniger schöne deutsche Übersetzung, englische Originalausgabe).

Samstag, den 18. Februar 2012
14 bis 18 Uhr
Ulrich-Haberland-Saal
(Auf dem Hügel 16, Bonn-Endenich).


Yol – Der Weg

8. November 2011

Öffentliche Vorführung
mit einem Einleitungsreferat von Justus Wertmüller

Nach dem Militärputsch in der Türkei im Herbst 1980 schaffte es ein Film, das Interesse ganz Europas auf die Zustände in diesem Land zu lenken. Es war der 1982 fertiggestellte und im gleichen Jahr mit der goldenen Palme von Cannes ausgezeichnete Film Yol von Yilmaz Güney (1937 – 1984), ein Film der erstmals 1994 legal in der Türkei gezeigt werden durfte. Güney – aus politischen Gründen mehrfach in Haft und 1981 unter abenteuerlichen Bedingungen aus der Türkei geflüchtet – konzipierte den Film im Gefängnis und hat ihn später im Exil aus Material zusammengestellt, das Freunde nach seinen Anweisungen teilweise klandestin in der Türkei gedreht hatten.

Yol wurde von der Linken sehr freundlich aufgenommen, jedoch mit dem Lob auch seiner Brisanz beraubt. Er wurde von der türkischen, kurdischen und europäischen linken und liberalen Öffentlichkeit in erster Linie als ein Film der Anklage gegen die Militärherrschaft gefeiert, obwohl er genau das nur zum Teil war. Die fünf Protagonisten, denen ein Hafturlaub gewährt wird und die sich in ihre im mehrheitlich kurdischen Südosten des Landes gelegenen Heimatorte aufmachen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, sind keine politischen, sondern kriminelle Gefangene. Auch ihre Erlebnisse außerhalb der Gefängnismauern haben mit politischem Widerstand gegen die Militärjunta nichts zu tun, umso mehr mit jener anderen Unterdrückung, über die Freunde des Volkes gerne hinwegsehen oder als Begleiterscheinung der Armut rechtfertigen: dem ganz normalen islamischen Alltag.

Es geht um Ehebruch, Ehrenmord, Zwangsverheiratung und Frauenunterdrückung. Die Protagonisten stehen scheinbar unüberwindbaren Zwängen letztlich machtlos gegenüber und zerbrechen daran. Nicht das Gefängnis, dem sie kurzfristig entkommen sind und das sie bei einer der in der Türkei häufigen Amnestien in absehbarer Zeit als freie Männern würden verlassen können, ist ihr größtes Problem. Als das wahre Gefängnis stellt sich ihnen eine Gesellschaft dar, in der Clanstrukturen und religiös geprägte Moral jeden Versuch vereiteln, ein individuelles, in Grenzen gar sinnlich erfüllteres Leben zu entfalten.

Yilmaz Güney hat „Yol“ wie seine anderen Filme als Künstler und Revolutionär noch ganz selbstverständlich aus dem Blickwinkel des Westens gedreht. Seine Liebe zu den Menschen und der (kurdischen) Landschaft ist keine primitive Komplizenschaft mit dem Volk auf angestammtem Boden. Die Landschaft wie die Menschen erscheinen fremd und feindselig, solange ein übermächtiger, durch den Islam und die Verwandtschaftsherrschaft vermittelter Naturzwang nicht nur jede freundliche Regung erstickt, sondern die dortigen Verhältnisse als immer auswegloser erscheinen läßt.

„Yol“ ist ein kurdischer Film, der viel eindrucksvoller die notwendige und vernichtende Kritik an kurdischem Nationalismus vollzieht, als jede noch so kluge Streitschrift gegen die PKK. Yol ist die Denunziation jeden Kulturrelativismus im Namen unterdrückter Völker. Yol ist ein revolutionärer Film, weil er eine dezidiert „westliche“, sprich: universale Sehnsucht nach ein bißchen Freiheit und Glück auch für ein Land einfordert, das heute von einer islamistischen Regierung in einen noch trostloseren Zustand zurückversetzt werden soll, als Güney im Entstehungsjahr des Filmes ahnen konnte und ist schon dadurch unbedingt aktuell und sehenswert.

Die Veranstaltung findet am Freitag, den 25. November 2011 um 20 Uhr im Hörsaal 17 des Universitäts-Hauptgebäudes (Englisches Seminar, Regina-Pacis-Weg 5, Bonn-Zentrum) statt. Der Eintritt ist kostenfrei. Um Spenden wird gebeten.

Veranstaltet von der Gruppe Georg Elser, unterstützt durch das Kulturplenum des AStA der Universität Bonn.

 

WICHTIGER HINWEIS:

Gemäß § 6 Abs. 1 VersG sind Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen (u.a. die Grauen Wölfe bzw. ADÜTDF) angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische, gewaltverherrlichende oder andere menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, von der Versammlung ausgeschlossen.


Georg Elser – ein Terrorist?

11. Oktober 2011

Vortrag und Diskussion mit Matheus Hagedorny

Johann Georg Elser brachte am 8. November 1939 eine selbstgebaute Bombe im Münchner Bürgerbräukeller zur Detonation – und verfehlte das Hauptziel Adolf Hitler nur durch Zufall. Es sollte bis in die 1960er Jahre dauern, bis der ideologische Schutt aus Verschwörungstheorien und Gerüchten über dem Attentat abgetragen war und die so simple wie ungeglaubte Tatsache der Alleintäterschaft freigelegt wurde.

Es war der Kunstschreiner Elser, der 1938, im Jahr des pazifistisch gesinnten Münchner Abkommens, in einsamer Entscheidung seine „politische Beurteilungskompetenz“ (Lothar Fritze) überschritt und sich ohne jede Rückendeckung entschloss, den Nazi-Terror an seinem mythischen Ursprungsort zu terrorisieren.

Dieser private Krieg Elsers gegen die Naziführung denunziert zunächst die Selbststilisierung der „kleinen Leute“, die nach 1945 verbissen auf ihre Ohnmacht verweisen sollten, welche in der Summe allerdings die größten Verbrechen möglich machte. Blamiert wurde mit ihm aber auch die Pflichtverstrickung derjenigen militärischen Dissidenten, die 1939 – auf einem Höhepunkt von Hitlers Popularität – wohl „umstandslos geputscht [hätten], wenn der Führer es ihnen befohlen hätte“ (Eike Geisel).

Der „Bürgerbräu-Attentäter“ sah sich einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gegenüber, die anders als herkömmliche Diktaturen den „Gehorsam ohne Befehl“ (Clemens Nachtmann) kultivierte. Elser wusste sehr genau, dass selbst die Tötung der im Bürgerbräukeller versammelten Parteielite den Nationalsozialismus nicht hätte beseitigen können. Präzise wie nur Wenige begriff Elser, was unbedingt zu tun war und dass es doch wohl kaum etwas gegen die Tendenz einer sich barbarisch auflösenden deutschen Gesellschaft ausgerichtet hätte.

Der Vortrag möchte die daraus erwachsene Einsamkeit des „fähigsten Hitlergegners“ (Hellmut G. Haasis) auf den Begriff bringen und sich dabei die Frage vorlegen, ob Elser überhaupt in eine Typologie des Terroristen, Partisanen oder Guerillero integrierbar ist, für die jeweils ein gewisser gesellschaftlicher Rückhalt vorausgesetzt wird, um ihn vom gewalttätigen Einzeltäter zu unterscheiden. Es geht letztlich um die Frage, unter welchen Bedingungen (politische) Gewalt nicht nur legitim, sondern geboten ist und warum praktische Vernunft spätestens seit dem deutschen Vernichtungskrieg mit dem Pazifismus unvereinbar geworden ist.

Matheus Hagedorny ist Referent für politische Bildung des AStA der Universität Bonn.

Die Veranstaltung findet am Dienstag, den 08.11.2011 im Hörsaal 3 des Hauptgebäudes der Universität Bonn statt.

Veranstaltet vom Referat für politische Bildung des AStA der Universität Bonn, unterstützt von der Gruppe Georg Elser, im Rahmen der Reihe „Terror – Zur Kritik der politischen Gewalt“.

Der Eintritt ist kostenfrei.

Mit der Teilnahme an der Veranstaltung erklären Sie sich mit der Aufzeichnung und Verbreitung von Film-, Foto- und Audioaufnahmen der Veranstaltung einverstanden.


Der beste Pazifismus des Jahres

1. September 2011

Über den Aachener Frieden „von unten“ und die Berliner Republik*

Was haben die Stadt Aachen, der regionale Deutsche Gewerkschaftsbund, die katholischen Organisationen Misereor und Missio, der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, der evangelische Kirchenkreis, zahlreiche weitere kirchliche Organisationen, der SPD-Unterbezirk, der Kreisvorstand der Grünen sowie Die Linke in der Städteregion Aachen gemeinsam?

Sie alle sind Mitglieder der „Bürgerinitiative des Aachener Friedenspreises“, einer der international anerkannten Institutionen des Friedens „von unten“. Bekannt gegeben werden die Gewinner des Preises am 8. Mai, an dem sich die Beendigung eines Krieges jährt, mit dem der Frieden in Deutschland „von oben“ herbei bombardiert werden musste. Wohl aus der Ahnung heraus, mit dem Gezänk um Abfallordnungen, Flächentarifverträge und Seelsorgeeinheiten der Agonie des „sozialen Friedens“ zu verfallen, bastelt die friedensbewegte „Bürgerinitiative“ seit 1988 alljährlich ihr eigenes internationales Parkett und prämiert den besten Pazifismus des Jahres. Denn welche Formel vermag es in Deutschland sonst, den Parteienstreit stillzulegen und den gottlosen Linken mit dem katholischen Pfaffen auf ein mondänes Ziel zu vereidigen? Allein der Frieden macht es möglich, doch die Gründungserklärung des AFP warnt zugleich vor allzu hohen Erwartungen:

„Allerdings ist der Wunsch nach immerwährender Harmonie eine Illusion: Zu unterschiedlich sind die Interessen und Überzeugungen, und zwar nicht nur zwischen den einzelnen Gruppen und Völkern, sondern auch zwischen den Menschen ungleichen Alters, Geschlechts und verschiedener Teilhabe an Besitz und Macht.“
Wage also keiner, sich Frieden als einen Zustand der Versöhnung zwischen selbst bestimmten Individuen vorzustellen. Denn nicht nur in Aachen weiß man um die naturgegebene Ewigkeit einer Welt, in der sich „Völker“, Gruppen, Interessen, Geschlechter, und Teilhaber an Besitz und Macht spinnefeind gegenüberstehen. Gegen Elend, Tod und Krieg sei vielmehr „die Kultur des Streites und der Diskussion zu erlernen“ und die auch „mit Andersdenkenden, selbst wenn diese vorhandene Normen ändern wollen.“

Weltfrieden versus Israel

Auf solcher Grundlage haben die Israelis keine Chance, den in Aachen ersehnten Frieden lebend zu erreichen. Weder will Israel eine „Kultur des Streites“ mit den Judenmördern der Hamas „erlernen“, „selbst wenn diese vorhandene Normen ändern wollen“, noch will es den über jüdische Selbstbestimmung „Andersdenkenden“ ein mittlerweile in der vierten Generation weitervererbtes „Recht auf Rückkehr“ gewähren. Israel ist mit seinem Beharren darauf, ein jüdischer Staat zu sein und seine Souveränität unnachgiebig gegen seine Feinde zu verteidigen, geradezu der Antipode des Friedens, ob nun „von unten“ oder „von oben“. Schließlich teilt man nicht nur in Aachen, sondern in ganz Deutschland die klassenversöhnende, sich offenbar von selbst verstehende Gewissheit, dass der Zwergstaat am Mittelmeer die größte Bedrohung des Weltfriedens ist.

So nimmt es nicht Wunder, dass den Exponenten der „Israelkritik“ überproportional viele Ehrungen zuteil geworden sind. Dabei achtete man jedoch stets darauf, der Pluralität der Weltanschauungen gerecht zu werden:
Der 2008 ausgezeichnete palästinensische Christ Mitri Racheb erklärte die israelische Besatzung friedenspfaffenkonform zur „Sünde vor Gott“ und unterstellte dem Bau der israelischen Sperranlagen, einen Genozid an den Palästinensern zu verursachen [].
Für den linken Flügel steuert Uri Avnery, israelischer Preisträger aus dem Jahr 1997, wertvolle Tipps gegen die in der Gründungserklärung des AFP befürchtete „Verwischung sozialer, politischer und kultureller Gegensätze“ bei. Zur Ermordung vermeintlicher palästinensischer „Kollaborateure“ mit Israel äußerte er: „Wer seine Kameraden an eine feindliche Besatzung ausliefert, ist nach den Spielregeln militärischer Verbände, zumal im Untergrund, ein Verräter und wird umgebracht [] (vgl. konkret 06/2002, S.3).

Das „Dritte Reich“ in Farbe

Diese Preisträger etwa gelten der deutschen Öffentlichkeit in keiner Weise verdächtig, dem antisemitischen Ressentiment gegen den jüdischen Staat Gewicht zu geben. Auch der 2002 prämierte Bernhard Nolz, welcher als PR-Aktion für die weiterhin laufende „Nakba-Ausstellung“ den Davidstern der israelischen Flagge durch ein Hakenkreuz ersetzte, kam ebenso wie die entsprechende geschichtsrevisionistische Ausstellung ohne einen „Aufstand der Anständigen“ (Gerhard Schröder) davon.

Erst der notorische Walter Hermann, dessen antiisraelische Kölner „Klagemauer“ auf der Domplatte mittlerweile zum international berüchtigten Lokalkolorit geworden ist, sorgte für Irritationen. In seiner „Dauerdemonstration“ zeigte der Preisträger von 1998 eine Karikatur, die als nachkolorierte Judenhetze des „Dritten Reiches“ durchgehen würde, wenn man nicht wüsste, dass sie arabischen Ursprungs ist. Es folgte eine so öffentlichkeitswirksame wie wirkungslose Strafanzeige wegen Volksverhetzung, die um eine bis auf die Linkspartei einhellige, aber ebenfalls wirkungslose Verurteilung der „Botschaft des Hasses“ durch die Kölner Ratsfraktionen ergänzt wurde. Als der altersstarrsinnige Judenhasser, der er ist, hatte Herrmann weder begriffen, dass die „Friedensmacht Deutschland“ (Alfred Mechtersheimer) den Rückgriff auf völkische Ideologie inzwischen verwirft, noch, dass der Antisemitismus längst in der „vornehmsten deutschen Diskurseigenschaft“ (Justus Wertmüller) namens „Israelkritik“ aufgehoben ist. Wohl das Einzige, das ihn bis heute davor bewahrt hat, als antisemitisches Auslaufmodell der Domplatte verwiesen zu werden, ist jedoch seine Auszeichnung durch den politisch protektionierten Aachener Friedenspreis.

Die Patrone des Aachener Friedenspreises sind aber als Ideologen selbst bislang zu unflexibel, um ihre Ausdrucksformen diesbezüglich zu ändern. Herrmanns Antisemitismus wurde auch auf der jüngsten außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juli 2011 nicht verurteilt, der Vorsitzende Karl-Heinz Otten bekräftigte sogar seine Solidarität mit dem „Künstler“.

Einer, der sich nicht vorwerfen lassen wollte, untätig geblieben zu sein, ist der langjährige Vorsitzende des Friedenspreises Ottmar Steinbicker. Er weiß, was auf dem Spiel steht: das politisch schwergewichtige Aachener Friedenskartell müsse sich von Walter Herrmann „klar und deutlich abgrenzen, um sich die Kritikfähigkeit an der israelischen Politik zu erhalten“, und wie jedem Antizionisten gilt seine Sorge jenen ungenannten Kräften, die „eine ernsthafte Debatte über israelische Kriegsverbrechen in Gaza verhindern und durch eine Debatte über Antisemitismus ersetzen wollen“.
Es waren die israelischen Preisträgerinnen Gila Svirsky und Roni Hammermann, die Steinbicker im Zuge der Affäre Hermann bescheinigen mussten, dass dieser „rohen Antisemitismus“ verbreitet.  An der Funktion von Juden hat sich also auch für den gescheiterten Reformer Steinbicker im Prinzip nichts geändert: sie verbleiben in der Rolle des jüdischen Beweismaterials für den deutschen Pazifismus, nur dass sie neuerdings als Kronzeugen gegen den Antisemitismus in Stellung gebracht werden.

Ist der Aachener Friedenspreis noch zu retten?

Die aktuellen Preisträger, die Informationsstelle Militarisierung mit ihrem Übervater, dem Linkspolitiker Tobias Pflüger, und der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin erscheinen nur für einen flüchtigen Blick als der Versuch einer Kurskorrektur. Pflüger weigert sich, die „Entschieden gegen Antisemitismus“ benannten Beschlüsse der Bundestagsfraktion der Linken zu respektieren. Das von Grässlin unterstützte Rüstungsinformationsbüro agitiert gegen die Lieferung von Waffen an Israel. Mit diesen vermeintlich über jeden Zweifel erhabenen Antimilitaristen wurden besorgte Medien und Politik erfolgreich beschwichtigt, die interne Antisemitismusdebatte in einen Workshop outgesourct. Die mediale und politische Öffentlichkeit stört sich also nicht prinzipiell am Anliegen, Israel international zu isolieren oder gar als antizionistische Armada seine Selbstverteidigung militant anzugreifen. Es ist ihr erst unangenehm, wenn sich linke Israelfeinde aus Deutschland nachweislich mit allzu sehr diskreditierten Islamisten, Faschisten und anderen Märtyrern in einem Boot wieder finden, wie es drei nicht mehr ganz so junge Pioniere der Linkspartei mit der Mavi Marmara im Mai 2010 vorgelebt haben.

Aus dem Schiffbruch des Aachener Friedenspreises versuchen sich derzeit einige Mitglieder aus denjenigen Parteien zu lavieren, die ihre „Israelkritik“ für ihre jeweiligen Zwecke neu justieren wollen: den Grünen und der Linkspartei. Die Grünen wollen auf ihrem Weg zur Volkspartei nicht über solch eine heikle Provinzposse stolpern, während die Linken einen Schlussstrich unter die Antisemitismusvorwürfe ziehen wollen, die ihrem Profil als staatstragende Systemopposition links der NPD nicht nur dienlich sind. In Zeiten, wo sich die parteipolitische „Israelkritik“ wie jene einstimmige Resolution des deutschen Bundestags ausnimmt, die Israel in einer gefährlichen Umarmung den besten Weg seiner Selbstverteidigung dekretieren will, bedroht die Apologie des Antisemitismus den moralischen Kredit des Aachener Friedenspreises, glaubwürdig über Israel zu richten.

Der Aachener Friedenspreis, der wie wohl keine andere Pazifistenprämie mit einem parteipolitischen Milieu verbacken ist, droht bei weiteren Absetzbewegungen der Parteipolitiker zu einem obskuren und versprengten Rest der deutschen Friedensbewegung zusammenzuschrumpfen, die ihren Beitrag für die pazifistisch gesinnte „Wiedergutwerdung der Deutschen“ (Eike Geisel) geleistet hat. Als tauglich für die Rettung der Glaubwürdigkeit könnten sich möglicherweise die als „kühne Hoffnung“ drapierten Verbesserungsvorschläge der linken „Assoziation gegen Antisemitismus und Israelfeindschaft NRW“ erweisen, um der Ausgewogenheit willen doch mal einen „dissidenten Palästinenser“ oder vielleicht sogar eine „Organisation, die den in Deutschland zunehmenden Antisemitismus bekämpft“ wie sie selbst auszuzeichnen.

* veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und Mitglieds der Gruppe Georg Elser, Matheus Hagedorny. Korrigierte und ergänzte Fassung des anlässlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises am 1. September bei der „Achse des Guten“ erschienenen Beitrags „Frieden von ganz unten“.