Vortrag und Diskussion mit Magnus Klaue
Niemals, so mag man angesichts der Flut von Publikationen zum Thema glauben, gab es so viele Möglichkeiten „ästhetischer Erfahrung“ wie heute: Nachdem die bürgerliche Unterscheidung von Hoch- und Massenkultur, an der die Exponenten früher Kritischer Theorie noch festhalten wollten, glücklich überwunden ist, können sich Akademiker an Jazz und Punk erfreuen, während dem Mann von der Straße dank populärphilosophischer Handreichungen Kafka oder Beckett sich mühelos erschließen. Die Euphorie über die TV-Serie „Buffy“ verschmilzt Linksradikale und Konservative (in Personalunion von Dietmar Dath) zur postpubertären Großfamilie. Theoretische Klammer zur Legitimation dieser Scheindemokratisierung ist ein anti-universalistischer und relativistischer Begriff ästhetischer Erfahrung, der in Wendung gegen Kants Theorem ästhetischer Urteilskraft den objektiven Erfahrungsverlust, wie ihn die frühe Kritische Theorie als Movens des Umschlags von Fortschritt in Barbarei und Symptom faschistischer Subjektkonstitution anlysiert hat, als „Befreiung“ unterdrückter „Differenzen“ und „Intensitäten“ abfeiert. Der Wahrheitsanspruch des Geschmacksurteils, wie ihn Kant entfaltet und begründet, gilt aus dieser Perspektive als schlecht normativ: Wo der Erfahrungsberiff zugunsten multipler „Erfahrungen“ zerfällt, erodieren auch die Bedingungen der Möglichkeit ästhetischer Wertung.
Anhand einiger Texte zur ästhetischen Erfahrung, die sich auf Adorno und Benjamin beziehen (Hans Robert Jauß, Andreas Huyssen, Martin Seel u.a.), möchte der Vortrag der Frage nachgehen, was die paradoxe Gleichzeitigkeit von Verallgemeinerung und Liquidation „ästhetischer Erfahrung“ mit der Totalisierung der Kulturindustrie zu tun hat. In Anlehnung an Adornos Begriff der Idiosynkrasie, der den Konnex zwischen ästhetischem und moralischem Urteil betrifft, soll dann begründet werden, weshalb die Liquidation eines universalistischen Erfahrungs- und Geschmacksbegriffs, wie er bei Adorno wohl zum letzten Mal verbindlich formuliert worden ist, als Symptom für gesellschaftliche Regression verstanden werden muß. Die Fähigkeit zur Idiosynkrasie, die nicht nur die Fähigkeit meint, sich zu ekeln, sondern auch die Fähigkeit zum Glück, verbindet Adorno gerade mit unter „Linken“ verrufenen Exponenten der Moderne wie George und Rudolf Borchardt, deren Verdammung als „elitär“ längst Konsens geworden ist. Ein Konsens, in dem sich kein kritisches Bewußtsein, sondern der Haß auf eine Kunst artikuliert, die die Menschen nicht in ihre partikularen „Erfahrungen“ einschließen möchte, sondern ihnen zumutet (und zutraut!), was in der „erfahrungshungrigen“ Kulturindustrie ferner rückt als je: die Erfahrung von Wahrheit und Freiheit.
Dienstag, den 30.06.2009 um 19.30 Uhr – Raum C in der Studiebühne (Universitätsstr. 16a), Köln
Der Eintritt ist frei.
Eine Veranstaltung der Gruppe Georg Elser in Zusammenarbeit mit dem SprecherInnenrat der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln.